So läuft’s Business
Was wirklich schwer war in der letzten Woche der Sommertransferperiode? Einen deutschen Artikel über den aktuellen Transfermarkt zu finden, in dem nicht das Wort „Wahnsinn“ in prominenter Funktion vorkam. Wobei damit fast immer der „Wahnsinn“ der englischen Clubs gemeint war, so wiederholt im Kicker, in der FAZ oder auf Sky und Sport 1. Der Kicker etwa setzte seine „Vernunft und Wahnsinn“-Argumentation von vor einem Jahr, über die ich mich damals schon ausgelassen habe, einfach fort, mit der bestechenden Argumentationslinie: „Alle wahnsinnig außer den Deutschen“.
Nun wird so mancher Arzt misstrauisch, wenn ein Patient davon ausgeht, alle außer ihm selbst seien wahnsinnig. Jenseits klinischer Befunde frage ich mich aber hier einmal mehr, wie die Vorstellung, das viele Geld, das Premier League-Teams in Spielerverpflichtungen investieren, sei von fundamentaler Irrationalität gekennzeichnet, die Transfersummen in Deutschland aber nicht, entsteht, und warum sie als Generalnarrativ über die finanziellen Unterschiede zwischen der zweitreichsten und der reichsten Fußballliga der Welt so bruchlos funktioniert.
Die „Doppelpass“-Talkrunde auf Sport 1 am 6. September war ein Paradebeispiel dafür, wie die simple Logik funktioniert. Die Preise seien „nicht mehr real, da sind wir uns einig“, befand Moderator Thomas Helmer. Es blieb ausgerechnet Oliver Pocher vorbehalten, die Stimme der Vernunft zu geben. Applaus vom Publikum nach jedem Satz bekam aber der Journalist Hansi Küpper, der betonte, in Deutschland sei alles super, die beste Stimmung, Volksnähe, und „England wird ohnehin nicht Weltmeister“.
Fairerweise muss man sagen, dass nicht jeder kulturpessimistische Text zum Transfermarkt auf der Unterscheidung zwischen klug eingesetzem deutschen Geld und sinnlos verprasstem ausländischen Kapital bestand (um die Formulierung „raffendes“ versus „schaffendes“ Kapital zu vermeiden, deren Tradition hier gleichwohl nachwirken mag). Philipp Köster räsonnierte in 11 Freunde über den modernen Transfermarkt als Gesamtphänomen, ohne die Bundesliga von seiner Kritik auszunehmen. „Wahnsinn“ durfte als Begriff aber auch bei Köster nicht fehlen.
Seit Jahrzehnten ist es in deutschen Medien üblich, jede neue Rekordsumme im Fußballtransfermarkt als bedenklich zu geißeln. Diese Summen seien „nicht mehr normal“, heißt es dann. „Wie kann ein Fußballer [x Millionen] wert sein?“, wird gerne gefragt. Aber warum eigentlich? Die Sängerin Taylor Swift verdient im Jahr mehr Geld, als Kevin de Bruynes viel diskutierte Ablösesumme betrug. Sie nimmt dieses Geld auf Basis ihrer Popularität ein, in Form von Musikverkäufen und Werbeverträgen. So ist das in der Unterhaltungsindustrie. Die absolute Höhe der entsprechenden Summen kann eigentlich nur dann Gegenstand kritischer Betrachtung sein, wenn man entweder 1) den kapitalistischen Profifußball/die Musikindustrie als ganze ablehnt, oder wenn man 2) annimmt, den spekulativen Investitionen zum Beispiel der Premier League-Clubs lägen falsche Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Einnahmen zugrunde.
Der erste Punkt ist nachvollziehbar, die daraus zu ziehenden Konsequenzen schon komplizierter. Der zweite Punkt überzeugt mich gar nicht. Denn die Premier League-Clubs haben ja durch den neuen Fernsehvertrag, der ab dem kommenden Jahr in Kraft tritt, garantierte jährliche Einnahmen, die es ihnen erlauben, die meisten deutschen Clubs (und den Rest Europas ohnehin) einfach aus dem Markt zu drängen. Heikel ist die Sache nur für die Teams, die nicht sicher sind, ob sie in der Premier League die Klasse halten, und die sich darob hoch verschulden, um nur weiter in der gelobten Liga zu bleiben. Hier wird es durchaus einige Kollateralschäden des neuen englischen Reichtums geben, wie auch in den unteren Ligen auf der Insel. Das ist aber kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied zu der Situation in Deutschland, wo Clubs, die zum Beispiel aus der 2. Liga absteigen, nachdem sie gerade ihr Stadion für die Bundesliga aufgerüstet haben, fast zwangsläufig in existenzielle Finanznöte geraten. Alemannia Aachen und Arminia Bielefeld waren entsprechende Beispiele, der FC St. Pauli hätte im Falle eines Abstiegs sicher auch ein paar Probleme bekommen.
Dass der Profifußball unter kapitalistischen Bedingungen keine Win-win-Veranstaltung ist, bei der es keine Verlierer gibt, daran kann kein Zweifel bestehen. Diese grundsätzliche Systemkritik ist aber etwas ganz anderes, als anzunehmen, eine bestimmte Höhe der Ablösesummen oder der Gehälter verwandele ein funktionierendes System mit „angemessenen“ Preisen in eine Perversion.
An den beobachteten Phänomenen in den deutschen Medien nervt zusätzlich noch der Blick aufs Universum wie vor der kopernikanischen Wende. Man hat auf einer bestimmten Ebene zwar wahrgenommen, dass alle Planeten des Fußballs sich um die reiche Sonne Premier League drehen. Aber diesen Zustand möchte man in revisionistischer Absicht zurückführen in eine heile, geozentrische Welt. Denn so funktioniert die unausgesprochene Logik: Die Ablösesummen, die deutsche Clubs zahlen, sind angemessen. Alles darüber ist „Wahnsinn“, was mit der Unterstellung, es werde „Geld vernichtet“, oder die englischen Clubs könnten mit De Bruyne oder Son gar nichts anfangen (Wolff Fuss auf Sky), belegt werden soll.
Da herrscht eine merkwürdige Mischung aus Angst vor der finanziellen Dominanz der Premier League, Herabwürdigung dieser Dominanz als nicht authentisch oder nachhaltig verglichen mit der „gesunden“ Bundesliga und schierer Doppelmoral. Dass ausgerechnet Hakan Calhanoglu beklagte, Son, der Bayer Leverkusen nach Tottenham verlassen wollte, werde „schlecht beraten“, war eigentlich so lustig, dass man zunächst auch eine Satire vermuten konnte. Schließlich hatte der gleiche Spieler seinen Wechsel vom HSV nach Leverkusen gegen den Willen seines damaligen Vereins erzwungen, indem er sich einfach krankmeldete und so gewissermaßen streikte, bis er Hamburg verlassen durfte. Wie auch Son selbst, Jonathan Tah und Levin Öztunali den HSV nach Leverkusen verlassen hatten – zu einem gut geführten Verein mit besserer sportlicher Perspektive als bei den Rothosen.
Tottenham Hotspur wiederum, der neue Arbeitgeber Sons und der Club, der einst auch Dimitar Berbatov aus Leverkusen verpflichtete, ist seinerseits auch nicht das Ende der Nahrungskette, sondern wird hoffen, Son eines Tages für noch mehr als die jetzt gezahlten 30 Millionen losschlagen zu können. So klappte es bei Berbatov, der für 15 Millionen nach London kam und zwei Jahre später für 38 Millionen zu Manchester United ging. Bayer 04 wiederum hatte Berbatov ja genauso wenig „ausgebildet“ wie Wolfsburg De Bruyne oder Augsburg Baba Rahman. Sondern für nur zwei Millionen von ZSKA Sofia verpflichtet. Jeder Club in Bulgarien, Serbien, Kroatien oder Rumänien ist daran gewöhnt, dass die besten Spieler irgendwann die Liga verlassen, weil die finanziellen und sportlichen Perspektiven anderswo besser sind. Zum Beispiel in der Bundesliga.
Man muss auch nicht bis auf den Balkan blicken, um extreme Ungleichgewichte zwischen der deutschen und anderen Ligen zu finden. Auch die Vereine der reichen Schweiz wissen, dass sie keinen Spieler oder Trainer halten können, wenn ein Bundesligist ihn unbedingt haben will. Da mag man sich als Anhänger des FC Basel noch so sehr grämen, dass Thorsten Fink einst die Aufgabe, den deutschen Abstiegskandidaten HSV zu trainieren, verlockender fand, als seinen Vertrag beim Schweizer Rekordmeister zu erfüllen und in der Champions League zu coachen. So sind halt die Verhältnisse. Selbst der FC Bayern, einer der drei Vereine in Europa, die von den Voraussetzungen her mindestens auf dem Niveau der englischen Topclubs liegen, scheint nicht so stark zu sein, seinem Trainer eine Vertragsverlängerung aufnötigen zu können und ihn so zu einer vorzeitigen Absage an Manchester City zu bewegen.
So der Fall beim vielleicht besten und begehrtesten Trainer der Welt. Ansonsten ist Bayern gerade der Club, der nicht so stark darunter leidet, dass die Premier League immer mehr Geld hat. Bayern muss tatsächlich gar nicht so viel Geld ausgeben wie Manchester City, um seine Ziele zu erreichen. Die Rolle der unangefochtenen Nummer eins in Deutschland ist seit Jahren sicher, damit auch die regelmäßige Präsenz in der Champions League. Die Lage ist also grundverschieden von der der meisten anderen deutschen Clubs – aber eben auch von denen in der viel umkämpfteren Premier League-Spitze. Das gälte es mal differenziert herauszuarbeiten: Wie steht ein deutscher Aufsteiger da im Vergleich zu einem englischen? Was sind die Perspektiven von Premier League-Verfolgerclubs, verglichen mit dem BVB oder Schalke 04? Wie muss Stoke City arbeiten und investieren, um seine Ziele zu erreichen, und wie Eintracht Frankfurt?
Eine solche Analyse wäre erhellender als das ständige Sprechen von „der Bundesliga“ oder „der Premier League“. Bayern München muss selbst die neue Geldflut aus England nicht fürchten, steht damit in der Bundesliga aber allein. Dennoch beteiligen sich auch Vertreter der Münchner in vermeintlicher Sorge um das Wohl des ganzen deutschen Fußballs an den allfälligen Äußerungen, die Preisentwicklung sehe man „mit Sorge“. Das sind Krokodilstränen, denn Bayern kann doch gar nichts Besseres passieren, als dass zwei der Hauptkonkurrenten in der Liga Schlüsselspieler verlieren.
Das gilt zumindest auf den ersten Blick. Dass das Münchner Geschäftsmodell, in Deutschland die unumstrittene Nummer eins zu sein, und von dieser Basis aus den internationalen Wettstreit anzugehen, auch eine Kehrseite für die ganze Liga hat, habe ich schon mehrfach beschrieben. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass es gerade die Bundesliga ist, in der anders als in England oder Spanien der Meister seit Jahren vor dem ersten Spieltag feststeht, beklagte zum Beispiel Michael Horeni in der FAZ in gleich drei verschiedenen Artikeln, dass „das englische Geld“ dem Fußball seinen sportlichen Wesenskern nehme: „Es wird jedoch ein anderer Fußball sein, der künftig gespielt wird. Er kann nicht mehr das große Versprechen einlösen, das mehr wert ist als alles Geld dieser Welt: dass für alle wenigstens in einem Spiel alles möglich ist“. Aus diesen dem Leitartikel der Zeitung vom 5.9. entnommenen Zitat spricht wohl tatsächlich die Überzeugung, dass Geld als entscheidender Faktor im Profifußball erst dann zum Problem wird, wenn ein Zustand droht, in dem deutsche Teams vermeintlich nicht mehr gegen alle anderen gewinnen können. Solange Bayern München innerhalb von drei Jahren vier Spieler für jeweils mehr als 30 Millionen Euro kauft, ist aber noch alles im Lot.
Es ist fast zu billig, darauf hinzuweisen, dass die Geschichte des Fußballs als populärstem Sport der Welt schon im 19. Jahrhundert auf Basis des Profitums bestand, und dass es genau dieser Umstand war, der zum Beispiel Aston Villa und die Blackburn Rovers im Duell mit Schulteams aus der Oberschicht irgendwann unschlagbar machte. Der Fußball, der in Deutschland zum allerersten Mal gespielt wurde, von anglophilen Schülern und Studenten, war bereits ein Fußball, der sich als Profisport entwickelt hatte. Dass es hierzulande noch über 60 Jahre dauern sollte, bis man bereit war, das Prinzip des Lizenzspielers zu akzeptieren, hieß dann nicht, dass Fußball in Deutschland bis dahin ein Amateursport war, sondern es hieß, dass vorher alle Gelder illegal und unter der Hand gezahlt wurden.
Die Geschichte des Fußballs als Massenphänomen ist eine Geschichte des Profisports. Auch wenn Peter Penders in der gleichen Ausgabe der FAZ die Zuschauer bei Dedes Abschiedsspiel als Gegenthese zur Kommerzialisierung des Fußballs in Stellung brachte: Borussia Dortmund ist nicht trotz, sondern wegen des Profisports ein Verein, der Hunderttausende Fans hat. Gäbe es den Profisport mit seinen Ungerechtigkeiten und erkauften Dominanzphasen nicht, dann wäre es vielleicht tatsächlich jedes Jahr wieder völlig offen, ob Hellweg Lütgendortmund oder der BVB die bessere Mannschaft auf den Rasen schickt. Da das aber nicht so ist, ist Borussia Dortmund eine international erfolgreiche Marke und ein Verein, den die Menschen lieben, gleichzeitig. Diese vermeintlichen Gegensätze sind zugleich Seiten der gleichen Medaille.
Der Fußball, wie wir ihn kennen, droht aber nicht daran zugrunde zu gehen, dass Clubs wegen ihrer großen Popularität sehr viel Geld verdienen, mit diesem Geld dann wieder Erfolg einkaufen und stabilisieren und weiter populär bleiben. So ist es nämlich mit der Premier League – sie nimmt so viel Geld ein, weil Menschen auf der ganzen Welt eine Liga sehen wollen, in der es fünf, sechs Teams mit großen Namen und vollen Stadien gibt, die um die Meisterschaft kämpfen, und weil diese Teams seit Jahrzehnten einige der besten Spieler der Welt beschäftigen.
Der Fußball, wie wir ihn kennen, wird viel eher davon bedroht, dass die Clubs in der „Stimmungsweltmeisterliga“ Bundesliga, die wirklich weltweit erstklassige Fans haben, inzwischen nicht mehr in die Champions League kommen, weil Clubs, die von großen Konzernen gedopt werden, ohne dabei auf Stimmung und Fans überhaupt angewiesen zu sein, ihnen die Startplätze weggenommen haben. Damit will ich weder Bayer Leverkusen noch dem VfL Wolfsburg die viel zitierte „gute Arbeit“ absprechen, die dort zweifellos geleistet wird. Aber es entbehrt nicht einer traurigen Ironie, wenn Küpper im „Doppelpass“ die Überlegenheit der Bundesliga gegenüber England als erstes damit begründet, dass „der Supercup nicht irgendwo auf der Welt ausgetragen wird, sondern bei uns, da, wo die Fans sind“.
Wer aber von Wolfsburg nicht reden will, der sollte auch von der Premier League schweigen.
Sehr guter Kommentar zur Situation. Mich stört die einseitige Betrachtung der Thematik auch. Da wird z.B. immer behauptet in der Bundesliga ist die Stimmung besser. Wer aber schon mal in Liverpool, Manchester oder London war, wird anerkennen, dass die Stimmung dort keinesfalls schlechter ist als in Deutschland.
Auch bei den vollen Stadien steht England kaum hinter der BL zurück. Zwar ist der Schnitt geringer als in Deutschland, allerdings sind in diesem Jahr 7 Vereine in der BPL, die ein Stadion haben für nicht mal 30.000 Zuschauer. Da fallen die Zahlen natürlich deutlich geringer aus. Die prozentuale Auslastung ist dort aber ähnlich hoch wie in Deutschland und das trotz deutlich höherer Preise. In England sind die Zuschauer halt bereit deutlich mehr für ihren Verein auszugeben, sei es nun im Stadion oder im PayTV. Und deshalb ist die Premier League auch finanziell so stark.