Im Namen des Volkes
„Iraner sind Südländer und nicht immer ganz perfekt organisiert“, dieser leichtfertig dahingesagte Satz in der TV-Kommentierung des WM-Spiels Iran – Nigeria in der ARD sorgte am Montagabend offenbar für so viel Aufregung, dass der Sender sich über Twitter und Verursacher Steffen Simon sich in der zweiten Hälfte auf dem Sender rechtfertigte – oder es zumindest . Er habe „etwas Politisch Unkorrektes gesagt“, so der WDR-Sportchef. Damit habe er aber „keinem Südländer auf die Füße treten wollen“, sondern „lediglich“ „Iraner zitiert“, die ihm bei der Vorbereitung geholfen hätten. Ob diese Iraner die mangelnde Organisation selbst auf ihr eigenes vermeintliches „Südländertum“ zurückgeführt hatten, bleibt hier offen. Die Logik der Entschuldigung („nicht so gemeint“) war so erwartbar wie die anschließenden Verteidigungen Simons durch , die sich empört über „PC-Denken“ zeigten. Darum soll es hier aber nicht gehen, auch wenn der Sprechakt, sich darüber zu ereifern, dass Beleidigungen, die einem selbst nicht gelten, von den Beleidigten als Beleidigungen aufgefasst werden (oder diese Empörung abzuleiten auf Nichtbeleidigte, die sich mit den Beleidigten solidarisch zeigen, und jene als „Gutmenschen“ zu verhöhnen), eine so verbreitete wie absurde Erscheinung der einschlägigen Debatten ist.
Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass Simons Auslassung nur die Spitze des Eisbergs ist, bei der nicht einmal klar ist, warum mutmaßlich der Begriff „Südländer“ zu vermehrten Protesten führte, während der Grundmodus der WM-Berichterstattung in ARD und ZDF, nämlich alles auf den „Nationalcharakter“ der unterschiedlichen Mannschaften zurückzuführen, anstatt auf sportliche, taktische Faktoren, weithin akzeptiert, oder zumindest resigniert zur Kenntnis genommen wird.
Oft sind die vermeintlichen Einschränkungen solcher pauschaler Zuschreibungen noch interessanter als die Zuschreibungen selbst. So wurde beim Moderatorengeplänkel in der ARD vor der Übertragung des Spiels England – Italien Mehmet Scholl darauf angesprochen: „Mehmet, Du magst ja die Engländer nicht“. Scholl entgegnete schnell: „Das ist so nicht richtig“, so dass ich dachte: „Ah, sehr gut, eine Zurückweisung solch pauschaler Urteile“. Was Scholl aber meinte, war: „Ich mag nicht die Engländer nicht, ich mag nur den englischen Fußball nicht“. Also: „Den englischen Fußball“ „nicht zu mögen“ galt ihm als akzeptable Einstellung als Experte des ersten deutschen Fernsehens bei der WM. Für den Moderator war die Unterscheidung aber auch nicht so wichtig gewesen, ob man nun gleich „die Engländer“ nicht mag oder nur ihren Fußball. Das kann man als einfache sprachliche Unsauberkeit auffassen, aber wenn man die Userkommentare auf deutschen Onlinemedien studiert, in denen es im weiteren Sinn um die italienische Nationalmannschaft geht, lässt sich kaum feststellen, dass es vielen Menschen wichtig wäre, in ihrer Abneigung klare Differenzierungen zwischen einem bestimmten Fußballstil und „den Italienern“ vorzunehmen. So sind Italienspiele im Fernsehen aber immerhin eine gute Gelegenheit, seine Twittertimeline aufzuräumen, indem man alle Leute, die dümmliche Anti-Italien-Sprüche klopfen, entfolgt.
Mehmet Scholl, um zum Beispiel zurückzukehren, verbirgt mit seinem sympathischen Auftreten leicht, dass ein großer Teil seines Expertentums im Umfeld der WM sich darin erschöpft, mit ethnischen Eigenschaften alles zu erklären. „Afrikanische Mannschaften spielen halt so“, kommentierte er zur Halbzeit des Testspiels Deutschland – Kamerun das vermeintlich zu harte Einsteigen der Gäste. „Wenn ein Südamerikaner provoziert wird, dann begeht er halt ein Frustfoul“, fiel ihm zur Roten Karte von Uruguays Maxi Pereira im Spiel gegen Costa Rica ein. Solche „Analysen“ stoßen selten auf Widerspruch oder Skepsis beim Moderator, sehen doch die meisten Journalisten von ARD und ZDF ihre Aufgabe auch darin, den kleinsten gemeinsamen Nenner der vermuteten Zuschauermeinung zu Hause zu treffen, und diese keineswegs durch analytische Einsichten zu erweitern.
„Die Engländer haben sich darüber beschwert, dass Honduras im Testspiel zu hart eingestiegen sei. Also, Oli, das muss man sich mal vorstellen, dass Engländer sich über harte Gangart beschweren!“, leitete Oliver Welke im ZDF die Vorberichterstattung zum Spiel Frankreich – Honduras ein. Oliver Kahn bestätigte, das sei tatsächlich schwer vorstellbar. Es sind nicht viele Spiele aus der Premier League, die man gesehen haben muss, um den Unterschied zwischen unsauberen, unbeholfenen Tacklings, wie sie Honduras auch gegen Frankreich zeigte, und dem, was hierzulande gerne vage als „englische Härte“ bezeichnet wird, zu erkennen. Aber man müsste „den Engländern“ ja gar nicht zustimmen. Man könnte darüber spekulieren, dass der Verweis auf die Härte des Gegners vielleicht das enttäuschende Ergebnis des besagten Testspiels kaschieren sollte, oder man könnte sich fragen, inwiefern eine gewisse Zweikampfhärte ein legitimes Mittel für technisch unterlegene Teams wie Honduras bei einer WM sein kann. Das würde nicht einmal redaktionelle Vorarbeit erfordern, sondern ließe sich als Gesprächsaspekt einfach so aus dem Ärmel schütteln.
Aber es scheint eine öffentlich-rechtliche Generaldirektive zu geben, auf der einen Seite Nerds mit neuen Gimmicks wie der Taktikcam oder dem Live-Ticker von Spielverlagerung.de zu besänftigen, für „die breite Masse“ aber auf jeden Fall nationale statt sportliche Themen zu wählen. Das muss keine Verschwörungstheorie sein – wurden doch alle öffentlich-rechtlichen Journalisten vor den Olympischen Winterspielen von 2010 angewiesen, zwingend den Namen des Austragungsortes auf der falschen Silbe zu betonen („VAN-couver“ statt „Van-COU-ver“), damit die deutschen Zuschauer nicht beunruhigt wurden, die es vermeintlich nicht anders kannten. Aufklärung ist hier jedenfalls nicht das Ziel.
ZDF-Routinier Wolf-Dieter Poschmann schafft es bisher immerhin, zwei verschiedene Philosophien über nationale Eigenschaften zu vereinen: das jus soli und das jus sanguinis (Geburtsort- und Abstammungsrecht). Erklärte er den Zuschauern des Spiels Australien – Kroatien noch ein Foul des Australiers Mile Jedinak damit, dass dieser kroatische Vorfahren habe, so vermutete er als Grund dafür, dass die Schweiz gegen Ecuador so „langsam“ spiele, dass die (größtenteils migrantisch geprägten) Nati-Spieler das Klischee der Langsamkeit „angenommen“ hätten. Das sollte wohl plausibler sein als die klimatischen Bedingungen oder die defensive Orientierung des Gegners als Grund für das mangelnde Tempo heranzuziehen.
Dass die Leistungen einer Mannschaft beim Fußball viel zu oft im luftleeren Raum betrachtet werden und nicht in Bezug zum Gegner gesetzt werden, ist natürlich ein generelles Problem des deutschen Sportjournalismus. Da man so aber eigentlich nicht verstehen kann, warum etwa Schalke im Winter nach zwei herben Niederlagen gegen Real Madrid und Bayern gegen Hoffenheim locker gewinnen konnte, bezieht man sich auf die „Einstellung“ der Spieler: „Auf einmal war bei Schalke der Wille wieder da“. Das Gute am Verweis auf den „Willen“ und die „Leidenschaft“, den ich bisher auch in fast jedem WM-Spiel gehört habe, ist natürlich, dass er nie falsifizierbar ist. Aber so spekulativ, dass er funktional als Tautologie taugt („Sie haben gewonnen“ kann man immer mit „sie wollten es mehr“ ersetzen), vordergründig aber eine Erklärung ist. So kann man gefahrlos etwas behaupten, was immer zu stimmen scheint, nicht die geringste Urteilskraft verlangt und sich dennoch als Analyse verkaufen lässt. Genau so übrigens beim Spiel Costa Rica – Uruguay von Tom Bartels vertreten, als Begründung für den Sensationssieg der Ticos: „Sie wollten es einfach mehr“. Anstatt anzunehmen, Uruguay habe irgendwie keine Lust gehabt, Chancen herauszuspielen, boten sich durchaus andere Ansätze an, schließlich musste man nicht viele Analysen der Celeste lesen, um zu erahnen, dass es der Mannschaft von Óscar Tabárez an Mitteln fehlte, tief stehende Gegner zu bezwingen.
Das sind generelle Vorwürfe an faulen Journalismus, bei der WM aber, und das ist ja das Thema dieses Artikels, werden in stundenlanger Berichterstattung, für deren Rechte mehr Geld an die FIFA geflossen ist, als sich je refinanzieren ließe, gebührenfinanziert Klischees reproduziert in einer Weise, die etwa manche Politiker um ihren Job bangen ließe. Für die verantwortlichen Sportredakteure scheint das aber keine Folgen zu haben (wenn man Simons halbgare Klarstellung nicht als harte Sanktion auffasst). Warum ist das gerade hier so? Natürlich gibt es eine Dialektik des internationalen Nationenwettstreits, nach der Veranstaltungen wie die WM oder der European Song Contest nur insofern zur „Völkerverständigung“ beitragen können, als sie vermeintliche „Unterschiede zwischen den Völkern“ erst als solche markieren.
Die obsessive Betonung von „nationalen Eigenschaften“ in der Berichterstattung über die WM in ARD und ZDF ist aber ein besonderer Anachronismus im modernen Fußball, der, ganz anders als noch vor 40 Jahren, auf Profiebene gerade davon geprägt ist, dass Taktiktrends sich schnell globalisieren, dass Topmannschaften aus Spielern verschiedenster Herkunft und Ausbildung zusammengestellt werden und Trainer wie Pep Guardiola, José Mourinho oder Louis van Gaal ja nicht dazu verpflichtet werden, um einen homogenen ortsgebundenen Charakter ihrer Clubteams zu erhalten. Unter diesen Vorzeichen ist es objektiv nicht Joachim Löws Aufgabe, den deutschen Fußball in einem Freilichtmuseum so zu konservieren, wie er 1982 ausgesehen hat, sondern, Erfolg zu haben und dabei so viele Anregungen wie nötig aus den international erfolgreichen Systemen und Ansätzen zu übernehmen. Die Debatten um die „importierten“ Ideen von Jürgen Klinsmann (amerikanische Fitnesstrainer), den „Verrat“ an „deutschen Tugenden“ von Klinsmann und Löw (noch kurz vor der WM 2006 forderte Jochen Coenen in der Sport Bild Klinsmann auf, Christian Wörns zu nominieren, denn ein Verteidiger müsse „vor allem Bälle raushauen“) sowie die Erörterung der Frage, wie viele deutsche Spieler vor dem Spiel die Nationalhymne mitsingen, deuten indes schon an, dass es genau die Globalisierung mindestens des Fußballs, wenn nicht gleich der Welt ist, die in vielen die Sehnsucht auslöst, eine Nationalmannschaft könne das bewahren, was in der Realität schon lange nicht mehr klar zu umreißen ist.
Dieses vermeintliche Bedürfnis nun bedienen ARD und ZDF grundsätzlich gerne – wird doch Sport in Deutschland in vieler Hinsicht fast ausschließlich als Nationenwettstreit rezipiert. An Olympischen Spielen interessiert der völlig abstrakte Medaillenspiegel mehr als die konkreten sportlichen Wettkämpfe, und bei Wintersport- oder Leichtathletik-Übertragungen wird die Formulierung „Wir hoffen natürlich alle, dass [deutsche Sportlerin X] es schafft“ so ausdauernd wiederholt, dass man sich fragt, wer mit dieser ersten Person Plural genau gemeint ist: „wir alle in der Redaktion“, „ich als Kommentator und Sie zu Hause“ oder „wir Deutschen alle“. In jedem Fall ist es eine performative Äußerung, deren ständige Wiederholung das behauptete Kollektiv immer wieder neu herzustellen versucht.
Faktisch, und das kann ich empirisch schon über meinen Bekanntenkreis und Arbeitskollegen sagen, das zeigt aber auch der bloße Gang durch eine Großstadt während eines WM-Spiels, sind nicht immer alle Zuschauer einer ARD- und ZDF-Übertragung „für Deutschland“. Dazu muss man gar nicht den berühmten „Migrationshintergrund“ suchen, viele Menschen verfolgen Sport davon unabhängig tatsächlich nicht, um ihren Nationalstolz zu mehren. Davon abgesehen sollte aber auch der Umstand, dass unter den immerhin 20 Prozent der deutschen Bevölkerung, die einen „Migrationshintergrund im engeren Sinn“ besitzen, wahrscheinlich verschiedenste Sympathien oder sportliche Identifizierungen vorherrschen, dazu veranlassen, etwas vorsichtiger mit der ersten Person umzugehen. Oder warum sollte es akzeptabel sein, ein Fünftel der Zuschauer, die immerhin auch für diese Berichterstattung bezahlt haben, diskursiv auszuschließen?
Diese Frage stellt sich bei der WM insbesondere, weil hier, wie schon vor zwei Jahren bei der Euro, ARD-Kommentator Gerd Gottlob seine Devise, die deutsche Nationalmannschaft in seine fiktive Gemeinschaft mit einzubeziehen, fortsetzt, in einer Weise, die noch über das übliche „wir drücken jetzt alle [deutschem Sportler X] die Daumen“ hinausgeht. Denn Gottlob meint mit dem „wir“ auch die Sportler selbst: „Wir müssen besser verteidigen“. Selbst, wenn man die angesprochene nationale Einheit der Zuschauer nicht in Frage stellen würde, folgen aus dieser Überidentifikation ganz unmittelbar und zwangsläufig Probleme in der journalistischen Arbeit. Nun würde ich die explizite sprachliche Aufhebung der Distanz zwischen Journalist und dem, worüber er berichtet, eigentlich keinem Praktikanten durchgehen lassen und als Kardinalsünde unseres Berufs bezeichnen. In den Gremien des NDR scheint es jedoch niemanden zu geben, der darin ein Problem erkennen kann. So muss man dann damit leben, dass jemand wie Gottlob bei jeder Szene ohne Ansicht der Zeitlupe sofort erkannt haben will, dass die Szene zu Recht für oder zu Unrecht gegen Deutschland gepfiffen wurde (wie im Spiel gegen Portugal beim Kontakt zwischen Benedikt Höwedes und Éder), wie ein echauffierter Co-Trainer an der Seitenlinie.
Diese einseitigen Parteinahmen gehören aber ohnehin zum guten Ton, so auch bei der angesprochenen Übertragung der Partie Costa Rica – Uruguay, in der Tom Bartels sich so fest vorgenommen hatte, den Auftritt des deutschen Schiedsrichtergespanns nach der Kritik an den anderen Unparteiischen zur Geschichte des Spiels zu machen, dass er Dr. Felix Brych schon vor der 15. Minute dreimal eine „überragende Leistung“ attestiert hatte. Es kam, wie es kommen musste, und Brych gab ein Abseitstor Costa Ricas. Während die Zeitlupe das zeigte, schwieg Bartels zunächst wie , als Toni Schumachers Foul an Patrick Battiston wieder und wieder gezeigt wurde, der deutsche Kommentator aber eisern schwieg und sich nach Minuten zu einem „das passiert schon mal“ durchrang. Bartels befand schließlich, es solle „angeblich doch eng beim Abseits“ gewesen sein, ging dann aber gleich dazu über, die deutschen Unparteiischen von jeder Verantwortung frei zu sprechen, das sei ja kaum zu erkennen gewesen. Auf so viel Milde hatte Wilmar Roldán, der Giovani dos Santos‘ Tor gegen Kamerun nicht anerkannt hatte, nicht hoffen dürfen. Auch der Kicker benotete Brychs Leistung mit der Bestnote einer glatten Eins, als einzigem Schiedsrichter der WM. Auch das folgt dem Imperativ, dem Zuschauer/Leser vor allem „ein gutes Gefühl“ zu geben, was mutmaßlich am besten dadurch gelingt, ihm zu suggerieren, als Teil der deutschen Gemeinschaft anderen überlegen zu sein.
„Haben die Portugiesen Respekt vor Deutschland?“, wurde Luis Figo in einem Interview im Vorfeld der Begegnung Deutschland – Portugal gefragt. Das ist nun auch nicht weniger rhetorisch als so manche „Wie fühlen Sie sich?“-Frage. Aber auf die Idee muss man trotzdem erstmal kommen. Oder man hat sie immer schon, wenn man den Wunsch, von „anderen“ ob seiner Nationalität „respektiert“ zu werden, für ein zentrales Bedürfnis hält. Nach dem Spiel gegen Portugal wollte Jürgen Bergener in der ARD von Mats Hummels wissen, ob die Gegner Deutschland „jetzt noch mehr respektieren“, und nach dem Spiel USA – Ghana wurden Spieler beider Teams direkt nach dem Abpfiff des hart umkämpften Spiels zu ihrer Meinung zu Deutschland befragt. Dass etwa Kevin-Prince Boateng darauf unmittelbar nach dem wahrscheinlichen Aus seiner Mannschaft bei der WM nicht viel Lust hatte, hätte man sich eigentlich denken können.
Wenn man tatsächlich der deutschen Mannschaft die Daumen drückt und das alles mit der seit 2006 so oft beschworenen „entspannten“ Einstellung zu seiner Nationalität, dann könnte man das übrigens auch einfach so tun und genießen. Dafür bräuchte man weder Moderatoren noch Kommentatoren oder Experten. Diese hätten dann mehr Zeit für andere Dinge. Zum Beispiel Journalismus.
Vielen, vielen Dank für diesen Beitrag, war längst überfällig!
Die sich an der Grenze zur Dummheit bewegende, um Stereotype kreisende Berichterstattung ist wirklich schwer zu ertragen. Bin mir nicht sicher, welche Funktion eigentlich die Erklärung/Analyse von Spielen anhand von National-Klischees eigentlich erfüllt; vielleicht ist es der Versuch, „den“ Zuschauer nicht zu überfordern bzw. mit dem Bezug auf Bekanntes bei der Stange zu halten (ich hab auch das Gefühl, dass mit erhöhter Sympathie auf „Spieler, die man aus der Bundesliga kennt“ verwiesen wird). Gleichzeitig sind diese Klischees ja latent immer auf die Herstellung der Identifikation mit der deutschen Nationalmannschaft bezogen, nach dem Motto, wie froh „wir“ doch sein können, so eine tolle, attraktiv und fair spielende Mannschaft zu haben.
Für mich interessanter Nebeneffekt: Tom Bartels hat es bei seiner ganzen deutsch-national fixierten Moderation (Costa Rica – Uruguay) schon so übertrieben, dass mir Gerd Gottlob gar nicht mehr so negativ aufgefallen ist – und das will schon was heißen.
Btw.: Großes Lob an Euch alle, die Ihr diesen Blog pflegt und weiterentwickelt – nahezu jeder Beitrag ist lesenswert und informativ, danke auch dafür!
Hallo Baudolino,
vielen Dank für das Lob! Das mit der Relation von Bartels und Gottlob ist in der Tat ein guter Punkt. Ich wollte allerdings bei Gottlob auch speziell das Kommentieren in der ersten Person Plural ansprechen.
Dieser schräge Nationalismus wird doch schon ad absurdum geführt, wenn man sich nur mal einen deutschen Spieler ansieht:
Mesut Özil geboren in Gelsenkirchen, der Vater mit zwei Jahren (!) aus der Türkei nach Deutschland gekommen und deutscher Staatsbürger. Özil hat mit 18 Jahren seine doppelte türkische Staatsbürgerschaft abgelegt, dafür die Deutsche behalten und seitdem unter anderem bei Schalke, Bremen, Real Madrid und dem FC Arsenal gespielt.
Spielt Özil jetzt wie ein Deutscher, Türke, Spanier oder Engländer? Was ist mit Klose, Podolski, Mertesacker, Khedira oder Schürrle?
Die ganze Idee von nationalen Identitäten ist schon heute ziemlicher Unfug und geht häufig in offenen Rassismus über („die faulen Südländer“, „die impulsiven Afrikaner“, „der hässliche Engländer“). Dabei finde ich schon die Idee, Deutschland könnte über Jahrzehnte einen vergleichbaren Fußball spielen völlig absurd. Zumal die Moderatoren meistens gerade mal auf 20 Jahre eigene Fußballerfahrung zurückgreifen können, wer von den Moderatoren hat schon die Spiele von 1954 gesehen?
Sehr schöner Beitrag.
Zugegeben, zu Beginn dachte ich, das ist aber mal richtig humorlos und der Autor sucht krampfhaft in allem was das Geplänkel neben den Spielen so hergibt nach Haaren in der Suppe.
Aber von Zeile zu Zeile hat das Lesen mehr Spaß gemacht.
Es ist einfach längst überfällig, dass man im ÖR den Stadionton im Wohnzimmer haben kann, aber Moderatorenstimmen ausblenden kann. Ich weiß, ich weiß, bei sky geht das, es geht aber um ÖR…
Randnotiz zur Olympischen Charta. Dort steht nämlich nichts von einem Nationen-Wettstreit, was ja auch der Autor kritisiert. Dort wird betont, dass die Spiele ein Wettbewerb zwischen Individuen seien.
„Regel 6 Olympische Spiele*
Abs. 1. Die Olympischen Spiele sind Wettkämpfe zwischen Athleten in Einzel- oder Mannschaftswettbewerben, nicht zwischen Ländern“.
Dass die olympische Charta außerdem auch für Journalisten gilt, vergessen manche Medien öfters. Lieber konstruieren diese aus einer WM oder aus Olympischen Spielen eine identitätdstiftende Veranstaltung, orientiert am staatlichen Rundfunkauftrag (wobei ich als Zuschauer den Bildungs- und Informationsauftrag dem der Identitätsstiftung gerne vorziehe, auch wenn in den beiden erstgenannten zu Teilen auch ein identitätsstiftendes Element enthalten sein kann). Dieser nationale Grundton ist daher nicht aus dem Wettbewerb entwachsen, sondern durch Rezeption der Medieninhalte durch die Zuschauer und Projektion der Nationalidentität durch die Medien. Und seit die Werbeindustrie Nationalflaggen zu Sport-Großveranstaltungen immer stärker mit der eigenen Produktpalette kombiniert, ist dieser Prozess wohl während dieser Großereignisse in der sozio-kulturellen Konsumgrundstimmung mit enthalten.
Danke für den Hinweis auf die Olympische Charta! Natürlich erwächst die von mir beschriebene Mentalität nicht aus dem Charakter des Sports selbst, sondern aus den medialen Rezeptionsweisen. Ich würde aber vor allem behaupten, dass sich dieser nationale Bezug in der Sportberichterstattung verselbstständigt hat und gar nicht zwingend von allen Zuschauern gefordert wird.
Da bin ich ganz deiner Meinung. Wie bei so vielen Sachen, die im Text behandelt werden.
Wobei ich behaupten würde, dass viele Journalisten besonders am Anfang ihrer Karriere sicher wert legen, nicht in solche Denkschablonen zu verfallen. Aber du berichtest ja über Kommentatoren, die bereits 20 Jahre im Beruf tätig sind. Jüngere bekommen leider bei diesen Sendern erst eine Chance, wenn man eben dass nicht mehr ist: jung. Ausnahmen gibt’s natürlich hier und da. Aber gefühlt muss ich mir seit ich denken kann die Stimme von Bela Rethy anhören. Das dieser aber auch nur einmal nach Rückmeldung bei den Zuschauern gefragt hat, wäre mir neu. Da hat man nie das Gefühl, dass er auch nur einmal an einer Taktikfortbildung teilgenommen hat oder wenigstens auf spielverlagerung.de sich die dort gängige Taktikinterpretation angelesen hätte. Aber das is halt subjektiv. Vielleicht hat ja der Großteil der Bevölkerung nichts an Rethys Kommentaren auszusetzen, die immer gern ins boulevardeske abdriften. Ich bin ja selber noch jung und gehöre daher wohl erst in 40 Jahren zur Zielgruppe der ÖR. Das ich bis dahin dafür zahlen muss, stößt mir aber schon ein bisschen auf.
nicht nur nicht gefordert sondern der Nationale Bezug nervt weil er schlicht nicht mehr funktioniert.
Darüber kann man traurig sein wenn man will.
Ich will aber primär beim Fußball schauen mich an coolen Spielzügen und gutem Fußball erfreuen.
Der Kommentator war aber solange ich denken kann immer schon ein Ärgerniss
Es fällt nur mehr auf das auch noch diese von dir kritisierten Unsäglichkeiten hinzukommen.
Weiteres sehr krasses und rassistisches Beispiel vom Kicker-Liveticker zu der roten Karte von Song im Spiel gegen Kroatien:
Unfassbar dumme Aktion von Kameruns Song: Nach einem Ballverlust rollt der Konter der Kroaten – abseits des Leders verliert Song in einer kleinen Rangelei mit Mandzukic die Nerven. Der defensive Mittelfeldspieler gibt dem durchstartenden Angreifer mit dem Ellenbogen einen Schlag in den Rücken.
Taktische Disziplin bewiesen die Kameruner bislang ohne Zweifel, doch gegen das afrikanische Temperament wirktauch der sichtlich fassunglose Trainer Volker Finke machtlos.
(Quelle: http://www.kicker.de/news/fussball/wm/spiele/weltmeisterschaft/2014/2/1417822/livematch_kamerun_kroatien.html)
Schön diese Analyse der Nationalisierung der Sportberichterstattung durch die Ö-R’s (wobei: wäre es bei RTL, PRO7, oder Sky einen Deut anders?) zu lesen. Mich überkommen aber Zweifel, wenn ich sehe, dass gegendenball.com im 1530blog.de-Netzwerk des Spingerverlages eingebunden ist. Versteht Ihr Eure eigenen Botschaft? Die hier beschriebenen Strukturen der (TV-)medialen Aufbereitung haben schließlich eindeutige Wurzen in den Ganz Dicken Buchstaben.
Danke für Ihren Kommentar!
Sicherlich wäre eine „private“ Berichterstattung nicht unbedingt anspruchsvoller oder weniger national eingefärbt, da haben Sie sicher Recht. Ein Unterschied besteht für mich allerdings darin, dass eine private, sich durch Werbung finanzierende Berichterstattung das eine ist, eine aus Gebühren zwangsfinanzierte Berichterstattung öffentlich ausgestatteter und mit einem gesetzlichen Auftrag versehener Sender etwas anderes. Das ist keine Polemik gegen „Zwangsgebühren“, sondern die Meinung, dass man ARD und ZDF durchaus an bestimmten Maßstäben messen kann, die nicht nur „der Markt“ vorgibt.
Dass sich die angesprochenen Phänomene nicht zuletzt in Medien des Springer-Verlags wiederfinden und der vermutete „Massengeschmack“ von Gerhard Schröder einst mit der Reduzierung auf „Bild, BamS und Glotze“ treffend auf den Punkt gebracht worden ist, bestreitet wohl niemand. Die Einbindung von Gegendenball in das 1530-Netzwerk geht allerdings mit keinerlei redaktionellem oder finanziellen Einfluss dieses Verlags auf unseren Blog einher. Weder verdienen wir daran Geld, noch gibt es irgendeine Einschränkung unserer journalistischen Arbeit. Dieses Netzwerk ist für uns eine Möglichkeit, unsere Sichtbarkeit und unseren Austausch mit anderen deutschsprachigen Fußballblogs zu verbessern. Wenn Sie den Eindruck gewinnen, dass unsere Inhalte in irgendeiner Weise davon affiziert sind, so lassen Sie es uns bitte wissen!
*WurzeLn, shit. Ich sollte mich besser Korrektur lesen.
„Danke für den Hinweis auf die Olympische Charta! Natürlich erwächst die von mir beschriebene Mentalität nicht aus dem Charakter des Sports selbst, sondern aus den medialen Rezeptionsweisen.“ – Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen: Olympia und FIFA-WM sind natürlich schon strukturell nationalistisch. Es werden Hymnen gespielt, Flaggen gehisst. Warum spielt Özil mit Podolski in einem Team und nicht mit Drogba oder Giroud? Die Grundidee der Veranstaltung ist bereits, nationale Identität zu erzeugen.
Der Fairness halber: Die Parteinahme für das „eigene“ Team und die dümmlich-oberflächliche, vorurteilsbehaftete Interpretation von Spielen ist keine Spezialität von ARD und ZDF. Andere Sender in anderen Ländern machen es selbstverständlich genauso.
Neu ist das nicht, wie eine beiläufige Recherche am Rande des von Oliver Schmidt kommentierten Spiels USA v. Portugal zutage förderte. http://www.11freunde.de/artikel/tv-kritik-ein-europapokalabend-im-zdf
Tradition macht es nicht besser.
„Wer es besser kann als Steffen Simon, trete vor!“
Artikel heute in der Welt, unglaublich.
Hier scheinen ja alle einer Meinung zu sein.
Da polemisiere ich doch gerne mal als Advocatus diaboli:
Die Zugehorigkeit zu einer sozalen Gruppe, einer Gemeinschaft, ist ein menschliches Grundbedürfnis.
Eine Geimeinschaft die sich über das gleiche Ziel, die deutsche griechische Mannschaft soll gewinnen,definiert; hat die Vorteile der klaren Zielsetzung, des einfachen Zugangs und der Grösse der Gememeinschaft.
Natürlich stehen da unsere Jungs stellvertretend für uns auf dem Platz.